Volker Heinsen
Strafverteidiger

Besondere Fälle

Kaiser Wilhelm Denkmal im Garten des Bergedorfer Schlosses
  • Ein Mordfall vor Heiligabend

    Im Herbst 2005 verschwand Sabine E. in Hamburg Boberg spurlos. Da man von einem Verbrechen ausging, wurde die Mordkommission tätig und ermittelte im Umfeld der Vermissten. Der Fall ging durch die Hamburger Presse, zumal man beim Durchkämmen der Heidewälder in den Boberger Dünen u.a. Leichenteile in Plastiktüten fand, die aber definitiv nicht zu Sabine E. gehörten.

    Am 23.12.2015 war ich im Begriff, in den Weihnachtsurlaub zu gehen; meine Taschen mit den Geschenken etc. hatte ich schon bereit gestellt. Kurz vor Umstellung des Tel auf AB in meinem Büro ging ein Anruf ein. Die Mordkommission brauchte dringend einen weiteren Verteidiger auf der Bergedorfer Wache. Es habe eine Verhaftung gegeben. Man hatte bisher keinen anderen Kollegen erreichen können. Selbstverständlich sagte ich zu, in ca. 5 Minuten dort sein zu können. Ich rief zuhause an und sagte, dass es doch noch etwas dauern könne.

    Auf der Wache wurden ein anderer Kollege und ich von der Mordkommission erwartet und informiert. Der Freund von Sabine E. und dessen Neffe seien soeben verhaftet worden; man habe technische Mittel im Fahrzeug des Freundes verbaut und Gespräche abgehört, die darauf hindeuten, dass beide etwas mit dem Verschwinden von Sabine E. zu tun haben. Der weitere Kollege vertrat den Freund von Sabine E., ich dessen 19-jährigen Neffen. Ich sprach mit diesem unter vier Augen. Der junge Mann stand mächig unter Druck und erklärte, dass er reden wolle und die Polizei zum Ablageort der Leiche von Sabine E. führen werde.

    Daraufhin fuhren wir mit mehreren Streifenwagen der Polizei in die Vier- und Marschlande Richtung Elbe. Ca. eine Stunde später wurde der Leichnam von Sabine E. in einem kleinen Waldstück gefunden unter einer Schicht von Erde und Laub. Da der Körper dort mehrere Wochen vergraben lag, war der Verwesungsprozess erheblich fortgeschritten. Das erschwerte die Aufklärung der exakten Toderursache bzw. des Tatablaufes. Gegen beide Tatverdächtigen wurde Haftbefehl erlassen. Ich sprach mit dem Neffen eine Aussage vor dem Haftrichter ab, so dass er kurz vor dem Jahreswechsel aus der Untersuchungshaft entlassen wurde.

    Nach seiner Aussage habe sich folgendes zugetragen: Man habe damals zusammen gefeiert; es sei viel Alkohol geflossen. Sabine E. habe sich dann im Laufe des Abends an den Neffen herangemacht. Dies habe wiederum zu einem Streit mit dem Freund geführt. Im Streit habe der Freund Sabine E. dann einen heftigen Faustschlag in das Gesicht gegeben, so dass diese - wegen der Alkoholisierung nahezu ungebremst - nach hinten überfiel und mit dem Kopf hart auf dem Boden aufschlug. Sabine E. habe zunächst noch schwach geatmet; als dies nicht mehr der Fall gewesen sei, habe der Freund noch eine Reanimation durch eine Herzdruckmassage versucht, aber vergeblich. Sabine E. verstarb an einer Hirnblutung. Der Freund habe die Leiche zunächst noch 2 Tage in der Wohnung an eine Heizung gelehnt aufbewahrt, bevor er sie zusammen mit seinem Neffen in einen Baumüllsack einwickelte und in den Vier- und Marschlanden vergrub. Beide wurden schließlich angeklagt, der Freund wegen Totschlags durch Unterlassen sowie Körperverletzung mit Todesfolge, der Neffe wegen Strafvereitelung, indem er seinem Onkel half, die Tat zu vertuschen.

    In der gerichtlichen Verhandlung konnte man dem Freund einen Tötungsvorsatz nicht nachweisen, weil es an der Leiche Hinweise auf die Herzdruckmassage gab, was gegen einen Tötungsvorsatz sprach; wegen der Körperverletzung mit Todesfolge wurde er zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Bzgl. des Neffen hob ich hervor, dass dieser erst 19 Jahre alt war, eine enge, vaterähnliche Beziehung zu seinem Onkel hatte und außerdem beträchtlich durch die erhebliche Alkoholisierung enthemmt war, was durch den damals noch am UKE tätigen Gerichtsmediziner Michael Tsokos bestätigt wurde.

    Es gelang mir, für den Neffen eine Verfahrenseinstellung gegen Zahlung eines Geldbetrages von 1.000 € zu erwirken. Der Freund nahm aus der Haft später Kontakt zu mir auf und bat mich, ihn im Zuge des Strafvollzuges bzw. der dann anstehenden Entlassung zu betreuen.

  • Drogenmissbrauch mit Happy End

    Es war einer meiner ersten Fälle im BtM-Strafrecht. Ich war als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Der Mandant war heroinabhängig, vielfach einschlägig vorbetraft und nun erneut angeklagt worden wegen sog. Beschaffungskriminalität. Nämlich war er als Wohnungsloser von einem älteren Ehepaar, das sich sozial für Gescheiterte einsetzte, im eigenen Haus aufgenommen worden. Man hatte ihm ein eigenes Zimmer eingerichtet und ihn in jeder Hinsicht unterstützt. Ziel war, dass der Mandant eine Therapie anstreben sollte, was in den Jahren zuvor aber bereits gescheitert war.

    Schließlich befand sich das Ehepaar auf einer mehrwöchigen Urlaubsreise. Der Mandant hütete das Haus in dieser Zeit. Man hatte volles Vertrauen in ihn gesetzt. Jedoch erlitt der Mandant wenig später einen heftigen Rückfall und begann, das gesamte werthaltige Hausinventar zu veräußern bzw. zu verpfänden, um sich Heroin zu kaufen. Als das Ehepaar zurückkehrte, fehlten nicht nur sämtliche Wertgegenstände und wertvollen Einrichtungsgegenstände, sondern auch der Mandant war auf und davon.

    Ein Strafverfahren wurde eingeleitet. Die Anklage lautete auf Diebstahl; es drohte eine mehrjährige Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Die Verteidigung war schwierig, weil auch Therapien zuvor bereits gescheitert waren und es kaum Ansätze/Argumente für den Mandanten gab. Auch war natürlich die Tat selbst als recht verwerflich anzusehen. Es gelang jedoch trotzdem, einen Therapieplatz in Süddeutschland fernab von Hamburg zu bekommen. Die Therapieeinrichtung erteilte bereits eine konkrete Zusage und hatte ein hervorragendes Konzept zu bieten. Dies überzeugte auch das Gericht, so dass man dem Mandanten noch eine letzte Chance gab und zu Therapie statt Strafe bereit war; d.h. die Zeit der Therapie wurde auf die Freiheitsstrafe angerechnet und der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Ich fragte mich natürlich, ob der Mandant es dieses Mal schaffen würde.

    Etwa 3 Jahre später erhielt ich kurz vor Weihnachten eine Postkarte mit Weihnachtsgrüßen und einer besonderen Danksagung: Der Mandant hatte die Therapie erfolgreich durchgeführt und war nun selbst Mitarbeiter der Therapieeinrichtung geworden und half anderen Drogenabhängigen auf ihrem Weg.

  • Gerechtigkeit in zweiter Instanz

    Der heute 40 jährige Mandant ist schwer an Multipler Sklerose erkrankt. Er sitzt im Rollstuhl und ist zu 100 % auf Pflegeleistung angewiesen. Sein Vater kümmert sich rührend um die tägliche Pflege; dessen Ehefrau hatte an derselben Krankheit gelitten und war daran verstorben.

    Um die schmerzhaften Spastiken zu lindern und Verkrampfungen zu lösen, erhält der Mandant von seiner Ärztin Cannabis in Form von medizinischem Marihuana aus der Apotheke verschrieben, und zwar monatlich 100 g, die Höchstdosis. Diese Menge reicht nicht aus; um wirklich ein einigermaßen erträgliches Leben zu führen ohne Schmerzen, benötigt der Mandant 200 g je Monat. Aus diesem Grund kaufte der Vater bei einem Drogendealer 100 g pro Monat dazu.

    Der Dealer wurde von der Polizei aufgegriffen und gestand die Verkäufe in den vergangenen Monaten an den Mandanten bzw. seinen Vater. Alle drei wurden angeklagt wegen mehrfachem Handel/Erwerb von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Es drohte eine erhebliche Freiheitstrafe.

    Meine Verteidigung war darauf gestützt, dass der Zukauf von Marihuana nötig war, um das Leid des Mandanten zu lindern und es keine andere Möglichkeit dafür gab, sondern dass vielmehr ein sog. rechtfertigender Notstand vorlag. Wir forderten einen Freispruch.

    Das Amtsgericht zeigte in der Tat viel Verständnis für die ausweglose Situation des Mandanten, konnte sich aber zu einem Freispruch wegen eines Notstands nicht durchringen; die zugekaufte Menge sei einfach zu groß. Eine hohe Geldstrafe wurde verhängt.

    Auf mein dringendes Anraten legte der Mandant Berufung zum Landgericht ein. Die Argumentation des Amtsgerichts war überhaupt nicht nachvollziehbar. Offenbar hatte man Hemmungen, den Kauf von 100 g Marihuana je Monat als nicht strafbar einzustufen. Es gibt hierzu diverse Rechtsprechung mit unterschiedlichen Ergebnissen.

    Das Landgericht zeigte sich zunächst skeptisch bzgl. des Ziels der Berufung; als wir jedoch dem Gericht in der Verhandlung unseren Standpunkt noch einmal darlegten und mit Nachdruck vertraten, wendete sich das Blatt und der Mandant und sein Vater wurden freigesprochen.

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